Hilfe statt Tabuisierung

Flingern

Hilfe ist vor allem da wichtig, wo häufig weggeschaut wird. In der Anonymität und parallel zum allgemeinen Hilfssystem prostituieren sich in Düsseldorf, insbesondere rund um den Hauptbahnhof, zahlreiche junge Männer mit und ohne Migrationshintergrund. Diese Menschen sind vereinsamt, leiden an psychosozialen Problemen und sind gesundheitlich stark gefährdet. Im Rahmen unseres Projekts „Aufwind“ leisten wir unbürokratische Hilfe für die, die durchs soziale Netz zu fallen drohen.

Der Durchschnittslohn in Bulgarien beträgt knapp 300 Euro, in Syrien wütet seit Jahren der Bürgerkrieg. Das sind nur zwei Herkunftsländer der Menschen, die mit ihrer Einreise nach Deutschland vor allem Hoffnung verbinden. Mit einer Sprachbarriere ist es allerdings schwierig, Arbeit zu bekommen. Aufgrund finanzieller Not, aus Verzweiflung und ohne Bewusstsein für die Gefahren geraten viele Menschen in die Prostitution.

„Die meisten unserer Klienten sind zwischen 18 und 24 Jahre alt. Viele sind wohnungslos, die meisten stammen aus Südosteuropa. Die Prostitution ist für sie oft der einzige Weg, in Deutschland Geld zu verdienen – auch um die daheimgebliebene Familie finanziell zu unterstützen“, erklärt unser Sozialarbeiter Roman Sylejmani, verantwortlich für das Projekt „Aufwind“.

„Es gibt auch Menschen, die diese Arbeit mit ihrer sexuellen Neigung vereinbaren können und sich bewusst für dieses Lebenskonstrukt entscheiden. Das sind aber nur sehr wenige. In aller Regel sind sie aufgrund ihrer Notsituation dazu gezwungen. Die meisten sind nicht einmal homosexuell.“


Vielfältige Gesundheitsrisiken


Fast alle unsere Klienten eint das geringe Bewusstsein für die vielfältigen Gefahren ihrer Arbeit: Gewalt, Geschlechtskrankheiten und letztlich auch psychische Erkrankungen als Folge des Umstands, mit einer Lebensrealität umgehen zu müssen, die dem Selbstbild nicht entspricht. An-laufstellen, die sich gezielt dieser Menschen annehmen, gibt es kaum. In Düsseldorf ist das Projekt „Aufwind“ das einzige, das sich dieser Thematik widmet.


„Die Ziele unserer Arbeit sind, die Menschen aufzufangen, ein Bewusstsein für die Gefahren zu schaffen und eine Perspektive außerhalb der Szene aufzuzeigen, indem wir versuchen, sie in Ausbildung zu bringen oder zumindest an das soziale Hilfssystem anzuschließen“, erklärt Fachbereichsleiter Philipp Braun.

Dieser Weg ist allerdings lang, weil die Menschen durch die Doppel-Tabuisierung von mann-männlicher Sexualität und Prostitution in ihren Herkunftsländern quasi ein Doppelleben führen. Der erste Schritt zu einer Grundsicherung, die Anmeldung als „Sexarbeiter“, wird aus Angst nicht unternommen: Der damit einsetzende Schriftverkehr kann zum ungewollten Outing vor Familie und Öffentlichkeit führen, welches in den Heimatländern sogar strafrechtliche Konsequenzen mit sich bringen kann. Dem-entsprechend sind von ca. 150 Menschen, die trotz hoher Fluktuation stets in der Szene unterwegs sind, nicht einmal 10 Prozent gemäß Prostituiertenschutzgesetz registriert.


Angst vor Diskriminierung


Der einzige Ausweg aus dieser Lebenssituation ist es, mit den Menschen gemeinsam andere Perspektiven zu entwickeln. Die Voraussetzung dafür ist, Vertrauen aufzubauen. Dafür sind unsere Sozialarbeiter für gewöhnlich an zwei Abenden in der Woche in den Szenelokalen unterwegs. In Nicht-Corona-Zeiten erreichen wir pro Abend rund 30 bis 50 sich prostituierende, junge Männer.
Dabei klären wir auf über Safer Sex, Geschlechtskrankheiten und die Gefahren der Prostitution. Insbesondere die gesundheitliche Gefahr ist problematisch, weil häufig keine Krankenversicherung vorhanden ist. Den Menschen fehlt es nicht nur am Bewusstsein für die Risiken ihrer Arbeit, sondern auch an der Möglichkeit, sich überhaupt auf Krankheiten untersuchen und testen zu lassen.


Keine Krankenversicherung 


Um die Gesundheitsvorsorge und die Grundversorgung unserer Klienten zu unterstützen, bieten wir unseren Klienten in unserem Streetwork-Café Mobilé eine regelmäßige Anlaufstelle. Die Menschen erhalten eine Mahlzeit, Anziehsachen und auch die Möglichkeit, sich zu waschen und zu duschen. Vor allem aber stellt das Mobilé einen Ruhe- und Rückzugsraum für die Klienten dar, welcher es den Sozialarbeitern ermöglicht, eingehender mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und etwa auch über Auswege aus der Szene zu beraten.


Unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Aufgaben


Bestenfalls führt unsere Arbeit zu einem Ausbildungsplatz oder einer Festanstellung. Auf dem Weg dahin machen wir mit unseren Klienten Bewerbungstrainings, unterstützen beim Schreiben von Bewerbungen, suchen nach Stellenangeboten oder begleiten und beraten bei Ämtergängen und administrativen Angelegenheiten. Letztlich versuchen wir, in allen Lebensbereichen zu helfen, wie Sylejmani erklärt: „Unsere Arbeit läuft nie nach einem bestimmten Schema ab. Die Problemlagen sind so unterschiedlich, wie es die Menschen sind. Wir setzen immer an unterschiedlichen Hebeln an, suchen nach unterschiedlichen Lösungen und Zielen und gehen den Weg dahin mit den Menschen gemeinsam.“

Nach einer finanziellen Starthilfe von der Fernsehlotterie muss dieses wichtige Projekt seit Jahren ohne Regelfinanzierung auskommen. Nur mithilfe von Spenden können wir unsere Arbeit fortsetzen und Menschen auffangen, die ansonsten keine Hilfe erhalten. Helfen Sie uns, um dieses für die Gesundheitsvorsorge und Lebensperspektive zahlreicher junger Menschen grundlegende Projekt erhalten zu können. Spenden Sie hier.

 

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